Ossulgarnen

Randgeschichten: Die Besetzer - Regen fällt ins Haus des Schmiedes

Regen fällt gegen das Hohe Haus. Leckt über die vergoldeten Dächer, kriecht entlang der gewaltigen Türme. Er prasselt gegen Fenster, planscht zwischen den Steinen und stürzt auf die Terrassen, wo die Knochen der alten Tyrannen immer noch liegen. Freigefault und von der Sonne gebleicht.

Der Wind trägt den Regen seitwärts, stäubt ihn in die Gänge und Schächte der gigantischen Festung. Bis hin zur Rampe, tief im Innern, wo einst der Schmied herrschte.

Doch der Schmied ist nicht mehr. Wie fast alle aus der grausamen Herrscher-Familie fand er ein gewaltsames Ende.

Ja, der Schmied ist nicht mehr. Aber dafür is Nagepper. Und die Rampe ist nun sein.

Genauso, wie all die Rüstungen, Waffen, Gerätschaften und abscheulichen Kostbarkeiten, die der Schmied hier einst zurückgelassen hat.

Und auch der Schmied selbst ... in gewisser Weise. Eine riesige, ausgetrocknete und leergesaugte Hülle ist alles, was von seinem heiligen Leib übrig geblieben ist.

Und all das hängt. Hängt kreuz und quer durch den Luftraum der Rampe verteilt. An zahlreichen Fäden aufgespannt. Für immer festgehalten in einem Fall, der nie beginnt.

Dazwischen bewegt sich Nagepper. Klettert über die Fäden, spinnt neue Dinge ein ins gewaltige Mosaik oder zupft an der Seide, sodass sie vibriert mit bronzenem Bass.

Manchmal spiegelt sich sein Körper in den goldenen und silbernen Oberflächen. Tausendfach huscht sein Bild durch den Raum.

Was bist du groß geworden, Nagepper! Immer noch klein, gegenüber deinem Freund im Garten oder euer aller großen Schwester, na klar. Aber trotzdem. Du warst mal so zierlich. Und nun schau dich an! Hat der Schmied dich gut genährt? Und seine Wächter? Oder all die Adeligen, Generäle und Abenteurer, die danach kamen, um euch rauszutreiben?

Was müsst ihr viel gefressen haben in den letzten Jahren. Gut so. Es war grausam, dass ihr vorher hungern musstet. Nie wieder sollen eure Mägen knurren, nein.

Nageppers Körper hat sich sehr verändert mit der Zeit. Seine Füße wurden zu Händen und neue Gliedmaßen sind ihm gewachsen. Zeichen seiner neuen spinnenhaften Natur. Er produziert Fäden und Gift. Und feine lange Häärchen auf seinem Körper nehmen jede noch so leichte Bewegung in der Nähe war. Seine Augen sind tiefschwarz und bunte Muster ziehren seine dicke Haut.

Das Seidenblut hat ganze Arbeit in ihm geleistet. Eins der vielen Wunder, die sich die Kids damals mit viel Schläue ergattert haben.

Sie hatten so viel leiden müssen davor. Nagepper hatte so viel geweint. Ein steter Regen aus Kindertränen.

Doch das war vorbei. Sie haben die grausamen Herrscher überlistet und verschlungen. Haben ihr "heiliges" Blut (in Wahrheit Mutagene, natürlich; es gibt keinen Gott) in sich aufgenommen und sind groß und mächtig geworden.

Und weil die Kids so wahrhaft klug sind, nutzten sie nicht auch nur eine Unze dieser Macht. Keine Herrschaft mehr im Hohen Haus.

Sie haben das große Tor aus den Angeln getreten und jedem, der wollte, Zutritt verschafft.

Und jeden Tag kamen ein paar Kinder und manchmal auch Erwachsene aus der Stadt am Fuße des Hauses zu Besuch. Sie spielten und lachten, kochten und aßen, versteckten sich und suchten oder dösten vor sich hin, während die geliebten Monster Wache hielten.

Zu diesen Stunden kauerte Nagepper dann für gewöhnlich in seinem Netz und zupfte die Fäden. Leises Brummen von Seidensaiten hallte dann durch das Hohe Haus auf der Suche nach fremden Ohren.

Und ab und zu sang der Regen eine Strophe mit.

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